St. Martin Baindlkirch – ein früh-klassizistisches Juwel
Bericht über die Kirchenführung am Tag des offenen Denkmals am 8. September 2024 mit Kunsthistoriker Hans-Christian Ries
Wer die Baindlkirchener Pfarrkirche zum ersten Mal betritt, stellt sich die Frage, ob die Erbauer dieses Gotteshauses zu wenig Geld für Altäre hatten und sie deshalb „nur“ malen ließen. Die Antwort darauf gab der Kunsthistoriker Hans-Christian Ries bei seiner Führung am Tag des offenen Denkmals am 08.09.2024: Die Finanzen mögen durchaus eine Rolle gespielt haben, aber die aufwendigen kunstfertigen Malereien waren sicher auch nicht grade billig. Schließlich wurden sie vom Direktor der berühmten Augsburger Kunstakademie Johann Joseph Anton Huber im Stil des Frühklassizismus ausgeführt. Doch Hauptgrund für diese in unserer Gegend einmalige Ausgestaltung des 1808/09 erbauten Gotteshauses war ein damals insbesondere in Böhmen und Österreich verbreiteter Trend.
Allgäuer Erweckungsbewegung beeinflusst die Ausgestaltung
Der Kunsthistoriker erklärte auch, weshalb es in der Kirche so wenige Heiligenfiguren gibt: Der maßgeblich für den Bau der Kirche verantwortliche Pfarrer Ignaz Lindl - Sohn des Gastwirtsehepaars Lindl aus Baindlkirch - war Anhänger der Allgäuer Erweckungsbewegung. Diese später als ketzerisch verbotene Glaubensrichtung lehnte die Heiligenverehrung ab und rückte die Beziehung des individuellen Gläubigen zu Jesus in den Vordergrund. Deshalb sind auf den Gemälden der Seitenaltäre Szenen von der Geburt und aus der Kindheit Jesu zu sehen.
Das Deckenfresko – Erlösung am Ende der Zeiten
Auch das Deckenfresko im Langhaus ist durch die Glaubensrichtung von Pfarrer Lindl bestimmt: Hier ist das „Himmlische Jerusalem“ dargestellt, wie es sich nach der Apokalypse (Weltuntergang) auf die Welt herniedersenkt. Das Verheißungsvolle am Ende der Zeiten, wie es sich die Anhänger der Erweckungsbewegung herbeisehnten, ist exakt nach dem Text der Offenbarung des Johannes in der Bibel gemalt; sogar die dort angegebenen Maße wurden berücksichtigt.
Pfarrer Ignaz Lindl – charismatischer Prediger
Mit diesen Glaubensinhalten zog Pfarrer Lindl bei seinen stundenlangen Vorträgen bis zu 10.000 Anhänger in den Bann. Doch 1818 musste er durch einen Erlass von König Maximilian I. das Land verlassen. Zunächst nahm ihn der russische Zar Alexander auf und er konnte in St. Petersburg weiter als Prediger wirken. Doch als er zu den Evangelischen konvertierte und seine Eismannsberger Haushälterin heiratete und eine Familie gründete, wurde er auch aus Russland verbannt. Er starb 1845 in Barmen, einem heutigen Stadtteil von Wuppertal (Rheinland).
Weitere Besonderheiten
Der Turm stammt aus dem 16. Jahrhundert.
Altäre, ein großes Kruzifix und die Kanzel wurden aus der Klosterkirche Taxa übernommen, die im Rahmen der Säkularisation dem Erdboden gleich gemacht wurde.
Einzige aus der Vorgängerkirche erhaltene Figur ist ein spätgotischer St. Martin auf einer Konsole.
Fazit: St. Martin in Baindlkirch ist ein kunsthistorisch sehr bedeutsames früh-klassizistisches Juwel, denn es gilt als eine der letzten bedeutenden Leistungen der Augsburger Freskomalerei in der Tradition des 18. Jahrhunderts.
Foto und Text: Katharina Schlamp, Bettina Detsch
Herzliche Einladung zu einer Führung in der Pfarrkirche St. Martin in Baindlkirch:
Wann: Sonntag, 8. September 2024
Gottesdienst: 10.00 Uhr
Führung anschließend, ca. 11.00 – 12.00 Uhr
Kunsthistoriker Hans-Christian Ries stellt die Geschichte und die Besonderheiten von St. Martin vor.
Herzliche Einladung durch die Pfarrei St. Martin Baindlkirch und den Verein Dorfbelebung Mittelstetten e.V.!
Wir freuen uns auf viele Interessenten!
Foto und Text:Katharina Schlamp